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Marc Forster über „White Bird“: „Ein emotionaler Anker ist wichtig“

Am Donnerstag kommt „White Bird“ im Verleih der Leonine in die deutschen Kinos, der neue Film von Marc Forster. Ein Gespräch mit dem in Deutschland geborenen Schweizer über den Sänger gleichen Namens, die Abkehr von großen Blockbustern und die Zukunft des Kinos (rosig). 

Marc Forster mit seinen jugendlichen Stars von „White Bird“ (Credit: Leonine)

Wenn man auf der imdb Ihren Namen eingibt, ist der Titel, der in der Vorschau mit Ihrem Namen auftaucht, „World War Z“. Wie finden Sie das? Fühlen Sie sich da richtig charakterisiert?

Marc Forster: Ich hätte gedacht, da kommt als erstes Marc Forster, der Sänger…

Hahaha. Stimmt, das wäre naheliegend bei Google. Die imdb grenzt da schon stärker ein, da sind Sie sicher…

Marc Forster: Ich habe kein Beef mit „World War Z“. Im Gegenteil, ich mag den Film sehr. Ich muss aber auch gestehen, dass ich ihn mir schon lange nicht mehr angesehen habe. Rückblickend kann ich mich aber nicht beschweren. Es war ein tolles Projekt, der bis heute unverändert weltweit erfolgreichste Zombiefilm und der erfolgreichste Film in der Karriere von Brad Pitt. Meine letzten drei Regiearbeiten, „Christopher Robin“, „Ein Mann namens Otto“ und jetzt „White Bird“, sind ganz anders, weniger Spektakel, nicht so aufwändig, eher dem Gefühlskino zuzuordnen, sehr emotional. Das kam nicht von ungefähr. Meine Tochter hatte sich nämlich bei mir beschwert, ich würde nur Filme für Erwachsene machen, ich solle endlich einmal Filme machen, die auch sie sich ansehen könne. Da schoss mir sofort „Winnie the Pooh“ in den Kopf. 

Und was gab den Anstoß für „White Bird“?

Marc Forster: Ein bisschen war es ähnlich. „Wunder“ hatte ich sehr gerne gemocht, gutes Buch, guter Film. In „White Bird“ nehmen wir die Figur des Jungen auf, der der Hauptfigur von „Wunder“ das Leben schwergemacht hatte. Das fand ich einen spannenden Ansatz. Und ich musste mich an das Gespräch mit meiner Tochter erinnern. Ich wollte einen Film machen, der jüngere Zuschauer zum Nachdenken bringt, einen Film über Bullying, Antisemitismus, Demokratie. Mit einem Blick auf die Entwicklungen in der Welt hielt ich das für wichtig. Das mit einer Liebesgeschichte zu verbinden, schien mir ein guter Weg, das Publikum emotional in die Handlung zu involvieren. Ein emotionaler Anker ist wichtig. Deshalb war es auch so toll, dass wir Helen Mirren gewinnen konnten. Ihre Anwesenheit erdet den Film, auch wenn man sie über weite Strecken gar nicht sehen kann.

Wie Sie selbst sagen, sind Ihre jüngsten Arbeiten kaum zu vergleichen mit den aufwändigen Blockbustern, für die Sie über Jahre hinweg bekannt waren – „Ein Quantum Trost“, „World War Z“. Finden Sie denn, dass Sie heute ein anderer Filmemacher sind?

Marc Forster: Kleinere Filme habe ich doch immer auch gemacht in meiner Karriere. Gleich mein erster Film war eine solche kleinere Produktion, „Monster’s Ball“ im Jahr 2001. Oder „Drachenläufer“ und „Schräger als Fiktion“… Oder sehen Sie sich „Finding Neverland – Wenn die Träume fliegen“ an… Der ist nicht wirklich weit weg von „White Bird“. Ungewöhnlich war dann eher der Wechsel zu einem Großprojekt wie „Ein Quantum Trost“, diese massiven Produktionen sind die Außenseiter. Natürlich hat mir das gefallen, Action mit höchstem Aufwand. Aber es schlaucht auch, raubt einem die Energie, weil man über zwei Jahre oder mehr sieben Tage die Woche eingebunden ist, ununterbrochen. Jetzt bin ich nur zu dem zurückgekehrt, was mich als Filmemacher am meisten interessiert. Das sind Herzensprojekte. Und ich habe mein Privatleben zurück. 

Der Regisseur am Set mit der großen Helen Mirren (Credit: Leonine)

„Ein Quantum Trost“ darf nicht unerwähnt bleiben, der eine Bond-Film mit Daniel Craig, der zwischen die Ritzen gefallen ist. Unberechtigt, wie ich finde, als Reaktion auf „Casino Royale“, ein Werk purer Raserei, hat er große Qualitäten. 

Marc Forster: Ja, ich finde auch, dass „Ein Quantum Trost“ sehr gut gealtert ist. 

Vor allem aber sieht der Film fabelhaft aus, Ihr Auge für Architektur und Raum ist außergewöhnlich. Das trifft übrigens auf alle Ihre Arbeiten zu: Sie sehen ausgewählt gut aus, finden immer eine perfekte Balance aus Inhalt und Form.

Marc Forster: Oh danke, das hat noch niemand über meine Filme gesagt. Das freut mich sehr. Ich liebe Architektur, das ist ein Steckenpferd und ein Hobby. Es ist mehr sehr wichtig, wie Raum und Licht in Filmen zusammenspielen. Darüber denke ich viel nach, ich beschäftige mich sehr damit. 

Wenn Sie sich „White Bird“ aus der Distanz ansehen, was würden Sie sagen ist das Besondere an dem Film?

Marc Forster: Für mich ist das Besondere, dass in den entscheidenden Momenten des Films eine Mischung aus Märchen, Realität und Emotion entsteht, die ich für ungewöhnlich halte. Dass es eine Liebesgeschichte ist, die ich versucht habe zu Leben zu erwecken mit märchenhaften ebenso wie realistischen Aspekten, die Bezug nehmen auf unsere Geschichte, insbesondere das Dritte Reich. Ich denke, dass mir das sehr gut gelungen ist, einen Film mit einer starken Botschaft zu machen, ohne mit dem Finger zu wackeln. Mich haben die Bilder vom 6. Januar 2021 sehr erschüttert, weil sie mir bewusst gemacht haben, was für eine zarte Pflanze die Demokratie doch ist, dass man sie schützen muss und hegen und pflegen. Als Filmemacher habe ich eine Verantwortung. Wenn es mir gelingt, mit meinen Filmen zu unterhalten, aber dennoch dem Publikum etwas auf den Weg zu geben, dann würde mich das sehr glücklich machen. 

Der Film ist auch eine Liebeserklärung an das Kino. Zu Beginn sieht man eine Kinovorführung mit Chaplins „Moderne Zeiten“, später spendet den beiden Liebenden eine improvisierte Vorführung in der Scheune Trost. Ist das Kino ein Hort des Trosts, der Hoffnung?

Marc Forster: Ich selbst bin in der Schweiz in den Bergen aufgewachsen und bin schon sehr früh ins Kino entflohen, so oft ich es konnte und es mein Taschengeld zuließ. Das war eine wunderbare Fluchtmöglichkeit, ich konnte mich in meine Fantasie zurückziehen, in Traumwelten verlieren. Wenn ich Schwierigkeiten in meinem Leben hatte, bin ich immer ins Kino gegangen. Danach ging es mir besser. Ich konnte mich abgleichen an Figuren, von denen ich mir vorstellen konnte, dass ich so bin wie sie, dass sie meine Freunde sein könnten. Und schon fühlte ich mich nicht mehr so allein. 

Märchenhafte Geschichte, bittere Realität: „White Bird“ (Credit: Leonine)

Sie sind nicht nur der Filmemacher, sondern waren zwischenzeitlich auch Strippenzieher: Vor sechs Jahren haben Sie gemeinsam mit Will Smith die Telepool gekauft, auch vor dem Hintergrund, eigene Projekte künftig leichter umsetzen zu können. Wenig später sind Sie aber schon wieder ausgeschieden. Was war der Grund?

Marc Forster: Ich war eigentlich nur am Anfang dabei, weil mich ein Schweizer Investorenpool mit an Bord haben wollte. Aber ich habe sehr schnell gesehen, dass das nichts für mich war, und habe mich alsbald wieder verabschiedet. Ich wollte mich lieber wieder auf den kreativen Bereich fokussieren als Geschichtenerzähler. Die Hoffnungen, die Beteiligung an Telepool würde mir helfen, mehr Kontrolle über meine Filmprojekte zu haben, hatten sich leider nicht erfüllt. Ich habe gemerkt, dass sehr viel Zahlenarbeit damit verbunden war, und das bin ich einfach nicht.

Haben Sie etwas Positives aus der Erfahrung mitnehmen können?

Marc Forster: Nicht wirklich. Dafür war es einfach zu schnell wieder vorbei. Bei der Umsetzung von Filmen, bei denen ich einfach nur als Regisseur dabei war, habe ich mehr dazugelernt. Die Arbeit mit Produzenten wie Barbara Broccoli bei „Ein Quantum Trost“ beispielsweise. Da habe ich an einem Tag mehr gelernt als bei der gesamten Telepool-Erfahrung.  

„White Bird“ ist genau die Art von Film, von der man sagt, Hollywood würde sie nicht mehr machen: Midbudget-Filme für ein großes Publikum. Wie ist Ihre Erfahrung? Ist es schwieriger geworden, solche Stoffe vom Boden zu kriegen?

Marc Forster: Ich glaube, dass es für eine gewisse Art von Filmen zutrifft, was Sie sagen. Ich sehe aber ein wachsendes Bedürfnis, wieder solche Filme gerade im Kino zu sehen, nachdem die Marvel-Filme ihre erdrückende Dominanz zu verlieren scheinen. Sehen Sie sich Filme an wie „Poor Things“ oder „Everything Everywhere All At Once” an, die man beileibe nicht als Mainstream bezeichnen kann, deren Kreativität und singuläre Vision aber so bestechend ist, dass sie kommerziell tatsächlich sehr gut funktionieren. Die Menschen sind hungrig, wollen neue Dinge erleben. Wenn man den richtigen Stoff hat und ihn gut umsetzt, dann kann man Teil einer Renaissance des Kinos sein.

Das Gespräch führte Thomas Schultze.