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REVIEW KINO: „Sting“

Wer im Sommer zwischen Fußball-EM und Olympia ein effektives Alternativprogramm fürs Kino sucht, ist mit dem gelungenen Spinnen-Horror „Sting“ gut beraten, den Studiocanal am 20. Juni nach Deutschland bringt.

Credits:

„Sting“, Regie & Buch: Kiah Roache-Turner; Cast: Ryan Corr, Alyla Browne, Penelope Mitchell, Robyn Nevin, Noni Hazlehurst, Jermaine Fowler; Produktionsfirmen: See Pictures, Pictures in Paradise, Align; Deutscher Verleih: Studiocanal; Deutscher Kinostart: 20. Juni 2024

Review:

Überragende Spinnen-Horrorfilme sind in der Filmgeschichte mit Werken wie „Tarantula“ oder „Arachnophobia“ an einer Hand abzuzählen. Dabei ist die Urangst des Menschen vor den krabbelnden Achtbeinern wahrscheinlich so alt wie die Menschheit an sich. Der australische Regisseur Kiah Roache-Turner kennt die gefährlich-tödlichen Varianten nicht nur aus seinem persönlichen Umfeld. Er ist auch ein ausgewiesener Horrorspezialist („Wyrmwood: Apocalypse“, „Nekrotronic“), der mit „The Beast of War“ jetzt schon wieder an einem Riesen-Hai-Film arbeitet.

Roache-Turners klassischer Spinnenhorrorfilm „Sting“, der hierzulande bereits auf den Fantasy Filmfest Nights zu sehen war, setzt mit einem alten New Yorker Mietshaus auf ein beschränktes Setting und dreht vor allem in der zweiten Hälfte an den Spannungsschrauben. Durch ein Fenster des Mietshauses kracht ein kleines Spinnentier aus dem All, das wahnsinnig schnell wächst. Dem Tier nimmt sich die 12-jährige Charlotte (Alyla Browne) an, die es mit allerlei Insekten hochpäppelt, um sich nicht allzu sehr mit ihrer dysfunktionalen Patchwork-Familie auseinandersetzen zu müssen.

Den titelgebenden, durch den „Hobbit“ inspirierten Namen „Sting“, zu Deutsch „Stich“, bekommt die Spinne vom jungen Mädchen. Dabei ist das eine interessante Umkehrung der eigentlichen Bedeutung. War in Tolkiens literarischem Werk noch Stich die Waffe, mit der die riesige Spinne Kankra geschlagen wurde. Hier wird die Spinne selbst zur Waffe: Anfangs nur gefräßig und intelligent. Später übernehmen aber die Effekte-Gurus von Weta auch das beeindruckende Wachstum und lassen Sting zu einer ekligen Bedrohung gedeihen, die durchaus auch saftiger in den Gewaltspitzen zu Werke geht.

Der Film lässt sich aber bewusst Zeit, seine Figuren um die kleine Charlotte, deren Mutter, das Neugeborene und den überforderten Patchwork-Vater (Ryan Corr), der Comiczeichner und Hausmeister ist, zu etablieren. Gerade die erste Hälfte ist durchzogen vom Melodrama der Beziehungen, Kränkungen und Unsicherheiten der Familie, damit später der Horror mehr wehtut. Die außerirdische Spinne dient dabei als Ventil und Katalysator für die unverarbeiteten familiären Konflikte.

Mit der Größe wächst auch der Hunger von Sting
Mit der Größe wächst auch der Hunger von Sting (Credit: SP Sting Productions/Emma Bjorndahl)

Das Ganze steht und fällt mit den Sympathien, die man für die kleine naseweise Protagonistin übrighat, die sich wie eine eigene Comic-Superheldin inszeniert und schließlich das Unheil mit ihren regelmäßigen Fütterungen mit heraufbeschwört. Der Hang zur Selbstzerstörung der familiären Strukturen wird überdeutlich. Aber umso befriedigender ist es dann, wenn die Schauspielerin Alyla Browne sich als Charlotte – in einer Art jungen Ripley-„Alien“-Version – mit Wasserpistole und Mottenkugeln geweihtem Wasser bewaffnet und auf die Jagd nach dem Riesenbiest in den Lüftungsschächten geht. Browne zeigt sich jedenfalls gerüstet für ihre Rolle als Young Furiosa in „A Mad Max Saga“.

„Sting“ hat ein gutes Horror-Pacing: Der Film beginnt langsam, investiert Zeit in die Figuren, um dann zunehmend aufs Gaspedal zu treten, bis einen der fixe Schluss überrascht. Für etwas Humor sorgen die leider von Alzheimer befallene Großmutter, ein draufgängerischer Kammerjäger und allerlei komisches Personal des Mietshauses, etwa auch ein nicht ganz ausgearbeiteter nerdiger Wissenschaftler.

Michael Müller